Auf ein Wort

Von der Sehnsucht nach dem Glück

»Ich bin glücklich.« Die Sonne ist gerade hinter den Häusern verschwunden. Du hast die Füße auf die Brüstung gelegt und balancierst auf deinem Bein ein Bitter Lemon. »Überrascht dich das?«, fragst du. »Ich weiß nicht. Glück ist so ein großes Wort. Muss man sich das nicht für die wirklich großen Momente aufsparen?« Du lachst. »Hast du Angst, dass es sich abnutzt?« Was weißt du schon vom Glück, frage ich mich stumm, um dich nicht zu verletzen. Du hörst es trotzdem. »Du denkst, ich habe mein Glück geopfert. Für etwas Größeres. Aber so ist es nicht. Jetzt zum Beispiel möchte ich nichts lieber tun, als hier mit dir zu sitzen.« Ich bin ein bisschen verlegen, weil ich mich freue. »Ich kaufe Brot«, fährst du fort. »Ich helfe einem Gelähmten auf die Beine. Wenn es einen Dämon zu vertreiben gibt, vertreibe ich ihn. Ich bete. Ich wasche meine Füße. Ich kämpfe für so etwas Großes wie Gerechtigkeit. Aber ich denke nicht darüber nach, ob ich lieber etwas anderes täte. Oder woanders sein wollte.« »Wirklich nie?« Du schüttelst langsam den Kopf. Deshalb also fühle ich mich so wohl bei dir.

Liebe:r Leser:in, 
diese Zeilen stammen von Susanne Niemeyer aus dem Buch "Schau hin. Vom Hellersehen und Entdecken". Was ist Glück für dich? Jesus konnte diese Frage mit Leichtigkeit beantworten, denn von ihm wird in der Textstelle gesprochen. Er konnte es sogar spüren. Was ist Glück für dich? Eine einfache Frage, die viele Antworten haben kann. Von jedem wird sie individuell beantwortet. Und ich frage mich, ob wir im Moment des glücklich Seins auch einen Hauch vom Reich Gottes spüren können? Denn es scheint mitten unter uns zu sein. Und der Eintritt ist frei. In einer Bibelstelle antwortet Jesus einem ungeduldigen Mitmenschen, der wissen will, wann das Reich Gottes nun endlich erscheint. Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man es beobachten kann, man wird auch nicht sagen: Siehe hier! oder: Da ist es! Denn siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch – in euch. Wenn das Reich Gottes in mir anfängt, wie merke ich das? Ich denke, dass es passiert, wenn ich glücklich bin. Wann sind Sie glücklich? Etwa, wenn Sie ins Meer springen, nach einer großen Anstrengung aufatmen oder wenn Sie sehen, wie viele Menschen für die Demokratie und gegen Rechtsextremismus demonstrieren? Und was ist dann anders, wenn Sie glücklich sind? Spüren Sie ein Gefühl von Leichtigkeit, Sorglosigkeit, Liebe oder fühlen sich wohl in Ihrer Haut? Mir scheint, wir versuchen alle irgendwie dieses Gefühl immer wieder erleben zu wollen. Eine Art Sehnsucht, die uns antreibt. Weil für einen kleinen Augenblick der Himmel aufreißt und alles gut ist. Wir glücklich sind. So streben wir jeden Tag nach dieser Sehnsucht und versuchen danach zu leben, weil das Reich Gottes mitten unter ist. Zwar nicht sichtbar, aber spürbar und erfahrbar in diesen Augenblicken des Glücks.

Bis bald, Ihre Pastorin Deborah Siemermann

Pastorin

Deborah Siemermann